Warum disput? Zur Vereinsgründung.

In Dresden sind Orte kritischer Öffentlichkeit – sofern sie noch bestehen – aufgrund des reaktionären Umfelds vielfältigen Bedrohungsszenarien ausgesetzt. Das Gleiche gilt für die darin agierenden Menschen. Entsprechend sehen viele keine Zukunftsperspektive in der Stadt und suchen andernorts nach Möglichkeiten der politischen Arbeit. Was an progressiven Strukturen noch nicht erodiert ist, erschöpft sich seit einiger Zeit häufig in aktivistischen Abwehrkämpfen gegen die extreme Rechte in Form von PEGIDA, Freie Sachsen, die AfD oder die jährlich rund um den 13. Februar stattfindenden, geschichtsvergessenen Gedenkveranstaltungen. Gekämpft wird zudem gegen den Wegfall der wenigen Freiräume dieser Stadt – man denke an den Alten Leipziger Bahnhof – und steigende Mieten. Nicht zu vergessen ist der Einsatz gegen patriarchale und sexualisierte Gewalt, dessen aktivistisch geprägte Öffentlichkeit wohl jährlich am 8. März den Zenit erreicht, und die Gegnerschaft zur sozialen Ungleichheit, wie sie in der gescheiterten „Genug ist Genug“-Kampagne ausgedrückt wurde. Aber ebenso Gedenkveranstaltungen wie jene am Holocaust-Gedenktag anlässlich der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau haben einen festen Platz im hiesigen Aktivismus. Auch anlässlich der Verbrechen des 7. Oktober 2023 wurde in Dresden demonstriert, wobei die Zahl der Teilnehmenden bei Demonstrationen „gegen jeden Antisemitismus“ wesentlich überschaubarer ist, als die Partizipation an etablierten Abwehrkämpfen.

Kritische Öffentlichkeit konstituiert sich so oft nur anlassbezogen. Der Mangel einer kontinuierlichen Auseinandersetzung und Organisation über die reaktiven Kämpfe hinaus geht einher mit Erschöpfung, Frustration und Wegzug der vormals beteiligten Personen. Auch die Möglichkeit gesellschaftlicher Einordnung bleibt davon nicht unbeschadet und zeigt sich in notdürftig zusammengebastelten Kritiken: Den jeweiligen politischen Gegnern werden einerseits austauschbare „Charaktermasken“ und moralische Urteile abstrakt und äußerlich übergestülpt – besonders beliebt ist beispielsweise die geschichtsvergessene Bezeichnung als „Nazi“ –, um andererseits „hinter“ diesen Masken mit moralingesäuertem Gestus die „moralischen“ Verfehlungen der Einzelsubjekte, beliebige Parteigänger:innen der AfD beispielsweise, auszumachen. Dadurch erweisen diese sich vermeintlich als das „eigentliche“ Problem der Gesellschaft. Der Mechanismus ist gegenaufklärerisch: Er verstellt ganz grundsätzlich, Phänomene wie den Zuspruch der AfD in Sachsen als solche einer neoliberalen Gesellschaft wahrnehmen, geschweige denn begreifen zu können.

Es resultiert eine Scheindebatte, zum Beispiel wenn der Nazivorwurf zwischen AfD und Gegendemonstrant:innen hin- und herschallt. Dies hat seine tragische Vorgeschichte in akademischen Debatten, die sich von der Aufklärung bewusstloser gesellschaftlicher Verhältnisse verabschiedeten. Unfähig, Kritik aus dem Gegenstand selbst – einem gesellschaftlichen, der sich in Phänomenen ausdrückt – zu gewinnen, scheint diese nur noch durch äußerlich konstruierte Normen möglich. Getragen von einem unendlich ausdifferenzierbaren normativen Horizont, der sich für den Selbsterhalt vermeintlich kritischer Wissenschaft besser eignet als für eine kritische Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit, führt dies zu einem begriffslosen Agieren. Diese vermeintlich kritische Wissenschaft sucht die Phänomene lediglich als solche zu differenzieren und einzuordnen, sodass sich normative Ordnungen ergeben, die als einzelne Dinge nebeneinander stehen und unvermittelt mit ihrer gesellschaftlichen Grundlage bleiben. Das Verschwinden emanzipatorischer Politik und die Veränderungen im Selbstverständnis eines kritischen akademischen Milieus sind so zwei Seiten ein- und derselben Sache. Diese zeigt sich öffentlichkeitswirksam im – schon allein wegen der Standortkonkurrenz – notwendigen, aber ebenso verzweifelten Versuch, „beschämt über xyz“ Dresden „positiv zu besetzen.“

Theoriebildung scheint daher nicht nur dringend geboten: Angesichts der sich zuspitzenden gesellschaftlichen Widersprüche – der sogenannten multiplen Krisen – in den letzten Jahren finden sukzessive Veränderungen statt, mit denen nur schwerlich ein Umgang gefunden werden kann. So wächst die neofaschistische Bewegung trotz der weiterhin stattfindenden Abwehrkämpfe weiterhin an. Der künftige Kanzler versteht unter der Straffreiheit von Abtreibung einen „Affront“ und sächsische Politiker:innen der CDU denken in Teilen über temporale Zusammenarbeit mit der AfD nach. Autoritäre „rote Gruppen“, welche sich als Teil einer antisemitischen Internationale begreifen, fassen zugleich zunehmend Fuß – auch in Dresden. Weiterhin schwinden hiesige Freiräume und bleiben Fragen des kommunalen Wohnungsbaus offen, fehlen Schutzräume für Geflüchtete oder Betroffene sexualisierter Gewalt. Dazu kommt die Ansiedlung riesiger Chipfabriken, die die Region zum größten Mikroelektronik- und IT-Cluster in Europa entwickeln werden – wohin diese Entwicklung führt, ist ungewiss. So manifestieren sich in lokalen Fragen globale Krisendynamiken. 

Entsprechend denken wir, dass das Bedürfnis nach theoretischer Auseinandersetzung und praktischer Kritik mit und an diesen Themen für viele Menschen besteht. Doch um eine kontinuierliche Arbeit zu ermöglichen, braucht es einen Ort des Austauschs und der Zusammenarbeit. Mit der Eröffnung der disputhek möchten wir einen Ort für Kritische Theorie in Dresden etablieren und langfristig erhalten. So soll beispielsweise im Rahmen von Lesekreisen, Seminaren, Vorträgen und Plena ein solidarisches Umfeld zur Reflexion ebenjener Verhältnisse, von denen wir alle teil sind, entstehen. 

Jedoch ist dieses Vorhaben nicht ohne finanzielle Unterstützung realisierbar, die wir durch einen gemeinnützigen Verein sicherzustellen versuchen. Derzeit sind wir auf private Finanzierung und neue Vereinsmitglieder angewiesen, um den Raum für die Bibliothek fertigzustellen und Veranstaltungen zu realisieren. Die Bibliothek beinhaltet eine umfangreiche Sammlung von Büchern, darunter vor allem die Privatbibliothek Joachim Bruhns. Dabei schließt der Verein an marxistische und Kritische Theorie an und versucht den Widerspruch auszutragen, in der herrschafts- und erkenntniskritischen Reflexion den Wahrheitsanspruch einer theoretischen Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit nicht aufzugeben. 

Schreibe einen Kommentar