„Der Islam ist eine Religion des Friedens und der Toleranz. […] Er ist die Religion, die ihren Anhängern den Wert vermittelt, sich gegen Aggressionen zu wehren und die Unterdrückten zu unterstützen; er motiviert sie, großzügig zu spenden und Opfer zu bringen, um ihre Würde, ihr Land, ihre Völker und ihre heiligen Stätten zu verteidigen.“
Charta der Hamas (2017)
„Fuck Germany! Fuck Israel!“
Greta Thunberg (2024)
„How do you keep on fighting when everything is lost? Ask a Palestinian. […] Things cannot go on like this: and they do. It is that experience, which can make a person want to blow herself up, that inspires the culture of sumud.“
Andreas Malm (2017)
„Crush Zionism!“
Greta Thunberg (2023)
„einen Europäer erschlagen heißt zwei Fliegen auf einmal treffen, nämlich gleichzeitig einen Unterdrücker und einen Unterdrückten aus der Welt schaffen.“
Jean-Paul Sartre (1961)
Die Klimabewegung hat den Gegenstand ihres Protests nie begriffen. Die Aktivisten sahen in den Nachrichten verstörende Fotos abgemagerter Eisbären, die auf unaufhaltsam schrumpfenden Eisschollen festsaßen; sie hörten von untergehenden Inseln im Süd-Pazifik und der Desertifikation in der Subsahara; hoch emotionalisiert nahmen sie die naturwissenschaftlichen Erklärungen über CO2, Methan und andere Treibhausgase wissbegierig auf. Mit dem guten Gefühl, die Wissenschaft hinter sich zu wissen und im Brustton der Überzeugung klagten sie die Charaktermasken des bürgerlichen Staates an: Empathielosigkeit, Ahnungslosigkeit und Korruption, also buntscheckige individuelle Unzulänglichkeiten machten sie als wesentliche Ursachen aus, wieso der Staat die Bevölkerung nicht vor dem Klimawandel, d.h. sich selbst schützt. Wenn sie hochtrabend von System Change sprachen, so hatten sie dabei nicht mehr als eine diffuse Vorstellung von der Lebensweise in den kapitalistischen Zentren, die irgendwie enden müsse: Konsum, Kohlekraft und Industrie wurden ihnen zu Symbolen der Erderwärmung und damit der individuellen und kollektiven Schuld. Die Klimabewegung blieb damit systematisch unter dem Niveau ihres Gegenstandes. Sie musste scheitern und wurde trotz größtem Zuspruch aus beinahe allen politischen Lagern und haufenweise verbalen Zugeständnissen amtierender Spitzenpolitiker enttäuscht. Dieses Scheitern war von vornherein unvermeidlich. Allzu spät begriffen die Klimabewegten, dass ihre Demonstrationen zu Werbeflächen linksgrüner Parteien verkamen, die – einmal in Amt und Würden – nicht substanziell anders handeln würden als die CDU.
Was aber tun im Moment des Scheiterns? Resigniert den Rückzug in die eigenen vier Wände antreten? Augen zu und durch, also Weitermachen, als wäre nichts geschehen? Einige wenige, die sich als geschickte Organisatoren oder charismatische Redner hervortaten, nutzten ihren Klima-Aktivismus als Sprungbrett in die Berufspolitik. Die dafür nötigen Fähigkeiten (Organisieren, Predigen und die Massenseele anheizen) hatte man über die Jahre gelernt. Ob sie sich dabei nun vormachen, die Krise beenden zu können, oder nicht, ist objektiv unerheblich: ihre Pfründe ist gesichert. Zahlreiche andere ehemals Klimabewegte wählen wiederum einen vierten Ausweg, der ihnen gestattet, die Niederlage zu verdrängen: einen neuen politischen Kampf. Dass die Wahl dabei auf den Krieg Israels gegen die Hamas fällt, ist keineswegs zufällig.
Bereits Jahre vor ihrem Scheitern identifizierten sich die Klimabewegten mit „Völkern“ im globalen Süden, seien es die winzigen Bevölkerungen, die auf allmählich versinkenden Inseln ein tristes Dasein in Weltabgeschiedenheit zu fristen gewöhnt waren, seien es die Mashco Piro, die im peruanischen Amazonas-Regenwald mit nicht mehr als einem Lendenschurz bekleidet und Pfeil und Bogen bewaffnet den Holzfällern Widerstand leisten, oder seien es die Likan Antai, deren Wasserquellen vom Lithium-Abbau bedroht sind und die in ihren bunten Trachten so wunderbar naturverbunden und authentisch ausschauen. In derlei Bevölkerungen sahen die Klimaschützer die personifizierten Opfer der westlichen Lebensweise: dort machten sie Gemeinschaften statt Gesellschaften aus, man erfreute sich am Anblick technologischer Rückständigkeit, nahm bereitwillig Erzählungen über eine vermeintlich organische Naturverbundenheit auf. Diese „Völker“ versprachen, Teil der kapitalistischen Peripherie (und damit am Klimawandel weitgehend unschuldig) zu sein, ohne wiederum große Ambitionen zu hegen, diesen Umstand verändern zu wollen. Dass dies ohnehin ein auswegloses Unterfangen werden würde, steht auf einem anderen Blatt. Die „Indigenen“ galten den Klimaaktivisten schlechterdings als die Natur in Menschengestalt. Im Weltbild der Klimabewegung war der Westen dem globalen Süden das Glyphosat zum Bienenstock. Kurzum: bereits vor Jahren existierte in der Klimabewegung ein Kultus des kärglich Vor-Zivilisatorischen.
Diejenigen von ihnen, die sich nun als Kämpfer für die Sache der Palästinenser wiederfinden, müssen ihr Weltbild zu diesem Behuf nur geringfügig neu justieren – der Manichäismus bleibt derselbe. Klagen sie Israel an, so zielen sie damit auf das gleiche Feindbild wie zuvor: den als verbrecherisches Kollektiv imaginierten Westen, d.h. diejenige Gesellschaft, in der die Klimabewegung selbst ihr Zuhause hat.[1] Es ist ihnen diese das staatgewordene Grundübel, das Prinzip des Bösen in der Welt. Erneut halten sie sich nicht mit dem Versuch auf, zu begreifen, was vor sich geht: erblickten sie bereits im Klimawandel ein diffus-mörderisches Verhältnis zwischen West (oder Nord) und Süd, so stellt sich ihnen dieses nun noch etwas unmittelbarer dar: hier der (wahlweise koloniale oder imperiale oder einfach zionistische) Mörder, dort das Opfer. Entging den Klimaaktivisten einst das Kapitalverhältnis und die materiale Heteronomie des Staates, so haben sie heute ein vollends entstelltes Verständnis des sog. Nahostkonflikts. Die dem historischen Stand der gesellschaftlichen Verhältnisse angemessene Politikform ist das Spektakel der Moral, welches sie beherrschen wie die Gleichaltrigen das kleine Einmaleins.
Wie einstmals äthiopische Kinder mit Hungerbäuchen oder Polynesier, denen das Wasser bereits bis zu den Hüften reicht, bieten heute die Palästinenser ein Identifikationsangebot für alle, die sich nach unbefleckten, reinen Opfern sehnen, als die man sich selbst insgeheim auch versteht. So schallte es schließlich auf hunderten Fridays for Future Demonstrationen: „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut!“ – was nicht mehr heißen kann als: ihr (die Politiker, Autofahrer und Babyboomer – wer genau ist im Grunde egal) ermordet uns (die Kinder, die es besser wissen). Einen solchen Opferstatus zu ergattern, war primäres Anliegen der „Flottille“, mit welcher Greta Thunberg und andere Influencer im Juni 2025 in Richtung Gaza schipperten. Wer eine Seeblockade zu durchbrechen gedenkt, der wird daran gehindert werden – für so viel Weitsicht bedarf es keines Studiums der internationalen Beziehungen. Als das mit winzigen Mengen an Hilfsgütern und also nur symbolisch beladene Bötchen dergestalt in Richtung Israel eskortiert wurde, prahlte Thunberg, dass sie nun auch endlich Opfer Israels wurde: „Das Kapern eines Bootes in internationalen Gewässern und die gegen unseren Willen erfolgte Verbringung nach Israel ist technisch gesehen eine Entführung.“ Das ist (nicht nur „technisch“ gesehen) falsch, bricht der Inszenierung aber keinen Zacken aus der Krone.
Und so startete kurz darauf eine zweite mit noch mehr Influencern und noch weniger Hilfsgütern beladene Flottille in Richtung Gaza. Als die Boote vor dem Hafen des tunesischen Küstenstädtchens Sidi Bou Said ankerten, fielen zwei brennende, bis heute nicht identifizierte Objekte vom Himmel und trafen zwei der Boote. Zwar brachen nur mickrige Feuer aus, die schnell gelöscht werden konnten, doch für die Aktivisten stand naturgemäß fest, wer hier seine Hände im Spiel hatte. Israel sollte es sein und selbstredend habe es sich um nicht weniger als einen Drohnenangriff gehandelt. Greta Thunberg, die in Fragen der Propaganda noch etwas geübter ist als ihre Mitstreiter, sprach ihrerseits sogar von einer Bombe. Dass eine solche mehr als ein kleines Feuer zur Folge hätte, mag ihr bekannt sein, doch Propaganda zielt nicht auf Wahrheit, sondern auf Schlagzeilen. In ihren feuchten Träumen erleiden die Aktivisten an Bord dergestalt das gleiche Schicksal wie die Kinder Palästinas. Diese Identifikation mit den Palästinensern fand ihren vorläufigen Höhepunkt in der imaginierten Verschmelzung. Stellvertretend für das gesamte Spektakel ließ die Berliner Berufspalästinenserin und Freizeitmatrosin Yasemin Acar ihre Follower wissen: „This is an attack against Gaza!“ Mit anderen Worten: Gaza, das sind wir!
Während die einstigen Identifikationsobjekte, die Bewohner Tuvalus etwa, lediglich in Person ihres Außenministers Simon Kofe bei Weltklimakonferenzen in dem Wissen um die Ausweglosigkeit ihrer Lage ihr Leid klagen konnten, verfügt die Führung der Palästinenser über reichlich Waffen und den erklärten Willen, von ihnen Gebrauch zu machen. Am 7. Oktober fielen Hamas, Islamischer Djihad und Teile der palästinensischen Zivilbevölkerung über Israel her, um so viele Juden zu ermorden, wie irgend möglich – oder wie es im islamo-gauchistischen Jargon heißt: „sich zur Wehr zu setzen.“ Es war dies der Augenblick, in dem die Klimaaktivisten ihre Liebe für die Palästinenser entdeckten. Einige von ihnen mögen am 7. Oktober eine Ersatzbefriedigung für ihre eigenen, womöglich aus der politischen Niederlage gespeisten, verdrängten Mordgelüste gefunden haben. Fleißig posteten sie bereits am Tage des Massakers Share-Pics mit Fallschirmspringern, welche die Schlächter des Nova Festivals symbolisierten. Vordenker der Klimaintifada und Humanökologe Andreas Malm fragte in Bezug auf den vernichtungsantisemitischen Feldzug des 7. Oktobers offenherzig: „How could we not scream with astonishment and joy?“
Andere warteten immerhin, bis Israel militärisch reagierte, um in Gaza das – zumindest weitgehend – schuldlose Opfer zu erblicken. Sie müssen den 7. Oktober verdrängen oder gleich (selbstredend mit freundlicher Unterstützung zahlreicher postmodern-antisemitisch gesinnter Geisteswissenschaftler) als antikolonialen Widerstandsakt rationalisieren, über den schließlich nicht urteilen dürfe, wer selbst kein Teil der Unterdrückten ist. In diesem Aspekt lernt die Linke partout nicht dazu, zu verheißungsvoll ist das definitorische Gütesiegel. Dahinter mag mitunter auch die wie erwähnt bereits Fridays for Future eigentümliche rassistische und in ihrer Konsequenz antisemitische Scheidung von Völkern der Natur und Gesellschaften der Industrie stehen: die Hamas erscheint als strafende Natur, für welche die zivilisatorischen Maßstäbe schlichtweg keine Geltung beanspruchen können. Vielmehr sei der 7. Oktober die Naturreaktion auf israelisches Staatshandeln und insofern allenfalls Israel selbst anzulasten. Auch hier befleißigt sich Andreas Malm, der aus seiner Begeisterung für die Hamas keinen Hehl macht, als Vortänzer. Er erkennt in den Palästinensern die Repräsentanten der Natur, welche sich legitimerweise mit allen Mitteln gegen die lebensfeindliche, künstliche Welt der Technologie, d.h. den von Israel verkörperten (siedler-) kolonialen, imperialistischen, fossilen Kapitalismus – mit anderen Worten: die Moderne selbst zur Wehr setzen, die zur Apokalypse tendiere: „Palestine provides a human vantage point for seeing the truth about capitalist modernity known to most non-human life forms. It’s just one damn nakba after another.“ Für Malm und seine Jünger tagt in Gaza damit das jüngste Gericht. Sein erlösungsantisemitisches Pamphlet heißt folgerichtig: The Destruction of Palestine Is the Destruction of the Earth.
Was die einstigen Klimaaktivisten in der Identifikation mit den Palästinensern an Israel bekämpfen, ist also das bereits im Klimastreik kultivierte diffuse Schuldgefühl als Teil der westlichen Gesellschaft; ein Unbehagen an der Moderne, welches sich an ihren Destruktivmomenten entzündet. Angesichts dieser verdammen sie die Moderne in Verkennung des Umstandes, dass erst diese die Möglichkeitsbedingungen einer befreiten Gesellschaft hervorbrachte. Nicht um die bestimmte, sondern um die abstrakte Negation dieser Gesellschaft geht es ihnen: zurück zum status quo ante, wie sie ihn in den Völkern des globalen Südens zu erkennen glauben. Aus dem bereits zu Zeiten von Fridays for Future notorischen Unverständnis der daher personifiziert angeklagten kapitalistischen Verhältnisse, speist sich eine Empfänglichkeit für antisemitische Topoi: in Israel und den USA machen die Aktivisten das Zentrum des Kapitalismus aus, welches sich einem Kraken ähnlich über den Globus zu erstrecken anschickt, um die Natur und die Palästinenser zu unterjochen. Rufen die Aktivisten „Palestine will set us free“, so sprechen sie damit die Wahrheit über sich selbst aus: in der Identifikation mit den Palästinensern Gazas finden sie eine Entlastung für ihr quälendes Schuldgefühl.
[1] Es handelt sich dabei (und auch in der Feindmarkierung) nicht allgemein um kapitalistische Zentren, sondern spezifisch um westliche Gesellschaften. Weder in den ehemaligen Tigerstaaten noch in China oder Indien ist eine Klimabewegung vergleichbarer Größe entstanden wie in Europa und den USA.

